Charles Le Gai Eaton, ehemaliger britischer Diplomat (teil 1 von 6)
Beschreibung: Die Suche nach der Wahrheit eines Philosophen und Schriftstellers im Angesicht eines ständigen inneren Kampfes um die Harmonisierung von Glaube und Tat. Teil 1: Eine weltliche Kindheit und eine Erwähnung Saudi Arabiens.
- von Gai Eaton
- Veröffentlicht am 02 Aug 2010
- Zuletzt verändert am 20 Oct 2010
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Ich wurde in der Schweiz von britischen Eltern geboren, ein Kriegskind. Zur Zeit meiner Geburt wurde der abschließende Friedensvertrag des Ersten Weltkriegs, der Vertrag mit der Türkei in der Nähe von Lausanne unterzeichnet. Der größte Sturm, der das Gesicht der Welt verändert hatte, hatte sich zeitweilig selbst verausgabt, aber seine Auswirkungen waren überall erkennbar. Alten Gewissheiten und der Sitte, die auf ihnen basierte, war ein Todesstoß versetzt worden. Auch mein familiärer Hintergrund war mit dem Blut des Konflikts befleckt. Mein Vater, bereits 67 als ich geboren wurde, war während der Kämpfe gegen Napoleon Bonaparte geboren worden. Beide waren Soldaten…
Auch wenn es so war, hätte ich wenigstens ein Heimatland gehabt. Ich hatte keins. Obwohl ich in der Schweiz geboren war, war ich kein Schweizer. Meine Mutter war in Frankreich aufgewachsen und liebte Frankreich über alles, aber ich war nicht französisch. War ich englisch? Ich fühlte mich nie so. Meine Mutter wurde nie müde, mich daran zu erinnern, dass Engländer kalt, dumm und geschlechtslos waren, ohne Verstand und ohne Kultur. Ich wollte nicht wie sie sein. Wohin - wenn überhaupt - gehörte ich? Rückblickend scheint es mir, als wäre diese seltsame Kindheit eine gute Vorbereitung für meine Zugehörigkeit zum Islam gewesen. Wo auch immer man geboren wurde und welcher Rasse auch immer man angehört, das Heimatland des Muslim ist Dar-ul-Islam, das Haus des Islam. Sein Reisepass hier und im Jenseits ist das einfache Glaubensbekenntnis: La ilaha ill-Allah. Er erwartet in dieser Welt keine Sicherheit oder Stabilität und muss die Tatsache immer im Hinterkopf behalten, dass ihn bereits morgen der Tod erwarten kann. Er hat keine festen Wurzeln hier auf dieser zerbrechlichen Erde. Seine Wurzeln sind über allem, in dem, das allein dauerhaft ist.
Aber was ist mit dem Christentum? Wenn mein Vater irgendwelche religiösen Überzeugungen gehabt hatte, hat er sie nie zum Ausdruck gebracht – obwohl er auf seinem Sterbebett mit fast 90 fragte: ´Gibt es da einen glücklichen Ort?´ Meine Erziehung war ganz meiner Mutter überlassen. Vom Temperament her war sie nicht unreligiös, denke ich, aber sie war in einer religiösen Umgebung aufgewachsen, und sie stand dem, was gewöhnlich als organisierte Religion bezeichnet wird, feindlich gegenüber. Einer Sache war sie sich sicher: ihr Sohn sollte frei sein, um selbst zu denken, und er sollte nie gezwungen sein, Meinungen aus zweiter Hand zu akzeptieren. Sie war fest entschlossen, mich davor zu beschützen, die Religion satt zu haben. Sie warnte eine Reihe von Kindermädchen, die kamen und gingen und uns während der Ferien nach Frankreich begleiteten, davor, dass sie sobald sie mir gegenüber Religion erwähnen, sofort gekündigt würden. Als ich fünf oder sechs war, wurden ihre Anweisungen allerdings von einer jungen Frau missachtet, deren Ambition darin bestand, Missionarin in Arabien zu werden, um die Seelen der unwissenden Leute dort zu retten, die - wie sie mir erzählte - in einem heidnischen Glauben, dem ´Moslemismus´, verloren waren. Dies war das erste Mal, dass ich von Arabien hörte, und sie zeichnete mir eine Karte von diesem geheimnisvollen Land.
Eines Tages machte sie mit mir einen Spaziergang hinter dem Wandsworth Gefängnis (wir wohnten zu jener Zeit in Wandsworth Common). Ich muss mich irgendwie schlecht benommen haben, denn sie ergriff mich grob am Arm, zeigte auf die Gefängnistore und sagte: „Es gibt einen rothaarigen Mann im Himmel, der wird dich dort einschließen, wenn du ungezogen bist!“ Dies war das erste Mal, dass ich von ´Gott´ hörte und mir gefiel nicht, was ich hörte. Denn aus irgendeinem Grund hatte ich Angst vor Männern mit roten Haaren (das muss sie gewusst haben) und dieser Besondere, Der hoch über den Wolken lebte, und Sich der Bestrafung ungezogener Jungen widmete, hörte sich sehr furchterregend an. Ich befragte meine Mutter über Ihn, sobald wir zuhause angekommen waren. Ich erinnere mich nicht mehr an das, was sie sagte, um mich zu trösten, aber das Mädchen wurde auf der Stelle entlassen.
Wahrscheinlich viel später als die meisten Kinder wurde ich zur Schule geschickt oder eher zu einer ganzen Reihe von Schulen in England und in der Schweiz, bevor ich im Alter von 14 in Charterhouse landete. Sicherlich mit Gottesdiensten in der Schulkapelle und ´Bibelkunde´, sollte das Christentum einen Eindruck auf mich gemacht haben? Es machte überhaupt keinen Eindruck, weder auf mich noch auf meine Schulfreunde. Dies schien mir nicht weiter erstaunlich. Religion kann nicht überleben, ganz und wirkungsvoll, wenn sie sich nur auf einen einzigen Bereich des Lebens und der Erziehung bezieht. Religion ist entweder alles oder nichts, entweder sie setzt alle profanen Studien herab oder wird von ihnen herabgesetzt. Einmal oder zweimal pro Woche wurden wir über die Bibel belehrt, genau wie wir in anderen Fächern unterrichtet wurden. Religion hatte anscheinend nichts zu tun mit den wichtigeren Studien, die das Rückgrat unserer Bildung formten. Gott griff nicht in historische Geschehenisse ein, Er beschloss nicht die Phänomene, die wir im naturwissenschaftlichem Unterricht studierten, Er spielte keine Rolle in den derzeitigen Geschehenissen der Welt, die durch den Zufall regiert wurde und durch materielle Kräfte, das war zu verstehen, ohne Berufung auf irgendetwas, das hinter den Horizonten existieren könnte – oder nicht. Gott war von den Notwendigkeiten überflüssig…
Und bald wollte ich die Bedeutung meiner eigenen Existenz kennen. Nur diejenigen, die in ihren Leben irgendwann einmal diesen Bedarf verspürt haben, können seine Intensität einschätzen, vergleichbar mit physikalischem Hunger oder dem Geschlechtstrieb. Ich fragte mich, wie ich einen Fuss vor den anderen setzen konnte, wenn ich nicht verstand, wohin ich ging und warum. Ich konnte nichts machen, solange ich nicht verstand, welche Rolle meine Taten im Schema der Dinge spielen. Alles, was ich wusste, war, dass ich nicht wusste – das heißt, nichts von wirklicher Bedeutung – und ich war wie gelähmt durch meine Unwissenheit, wie gefangen in einem dichten Nebel.
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