Charles Le Gai Eaton, ehemaliger britischer Diplomat (teil 2 von 6)
Beschreibung: Die Suche nach der Wahrheit eines Philosophen und Schriftstellers im Angesicht eines ständigen inneren Kampfes um die Harmonisierung von Glaube und Tat. Teil 2: Das persönliche Dilemma mit institutionalisierten Religionen.
- von Gai Eaton
- Veröffentlicht am 15 Feb 2010
- Zuletzt verändert am 15 Feb 2010
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Wo sollte ich nach Wissen suchen? Mittlerweile war ich 15, ich hatte entdeckt, dass es etwas gab, das sich ´Philosophie´ nannte und dass das Wort ´Liebe des Wissens´ bedeutete. Wissen war, was ich suchte, also musste die Befriedigung meines Bedüfnisses in diesen dicken Büchern verborgen sein, die von weisen Männern geschrieben worden waren. Mit einem Gefühl intensiver Erregung wie ein Eroberer, der Land sichtet, durchfurchte ich Descartes, Kant, Hume, Spinoza, Schopenhauer und Bertrand Russell oder las in den Werken, die ihre Lehren erläuterten. Nicht allzu lange später wurde mir bewusst, dass irgendetwas nicht richtig war. Ich hätte genauso gut auch Sand essen können, um von dieser Quelle Nahrung zu erhalten. Diese Männer wußten überhaupt nichts. Sie spekulierten lediglich, ersponnen Ideen in ihren eigenen ärmlichen Köpfen, und jeder kann spekulieren (sogar ein Schuljunge). Wie konnte ein 15 bis 16-Jähriger die Unverschämtheit besitzen und die gesamte westliche sekuläre Philosophie als wertlos bezeichnen? Man braucht keine Reife, um zwischen dem, was der Qur´an als dhann (´Meinung´) bezeichnet, und wahrem Wissen zu unterscheiden. Zur selben Zeit verpflichtete mich meine Mutter mit ihrer ständigen Beharrlichkeit, ich solle dem, was andere dachten oder sagten, keinerlei Beachtung schenken, dazu, meinem eigenen Urteil zu vertrauen. Die westliche Kultur behandelte diese ´Philosophen´ als weise Männer und Studenten an den Universitäten studierten deren Werke respektvoll. Aber was bedeuteten sie für mich?
Einige Zeit später, als ich in der Sechsten war, machte ein Lehrer, der besonderes Interesse an mir hatte, eine seltsame Bemerkung, die ich nicht verstand. ´Du bist´, sagte er, ´der einzige wirklich universale Skeptiker, den ich kenne.´ Er bezog das nicht speziell auf Religion. Er meinte, ich schien alles anzuzweifeln, dass jeder andere als selbstverständlich voraussetzte. Ich wollte wissen, warum es als sicher angenommen wurde, dass unsere Vernunft, die so gut geeignet ist, Nahrung, Schutz und einen Partner zu finden, eine Anwendung über die weltliche Sphäre hinaus habe. Ich war von der Bemerkung verwirrt, dass von dem Gebot ´Du sollst nicht töten´ erwartet wurde, dass es für diejenigen, die weder Juden noch Christen waren, verbindlich wäre, und ich war nicht weniger verblüfft, warum in einer Welt voller hübscher Frauen die Regel der Monogamie als universale Anwendung betrachtet wurde. Ich zweifelte sogar meine eigene Existenz an. Lange danach hörte ich die Geschichte von einer chinesischen Saga: Chuangtzu, der eines Nachts geträumt hatte, er sei ein Schmetterling, stand auf, um zu fragen, ob er tatsächlich der Mann Chuangtzu sei, der geträumt hat, er sei ein Schmetterling, oder ein Schmetterling, der geträumt hat, er sei Chuangtzu. Ich verstand sein Dilemma.
Als mein Lehrer diese Bemerkung machte, hatte ich bereits einen Schlüssel zu dem, was sichereres Wissen sein könnte, entdeckt. Durch Zufall – obwohl es so etwas wie ´Zufall´ nicht gibt – bin ich über das Buch mit dem Titel ´Der urzeitliche Qzean´, von einem gewissen Professor Perry, einem Ägyptologen, gestolpert. Der Professor hatte die fixe Idee, dass die alten Ägypter in ihren Papyrusbooten durch Teile der Welt gereist seien und ihre Religion und Mythologie weit und breit verbreitet hätten. Um seinen Fall zu beweisen, hat er mehrere Jahre damit verbracht, alte Mythologien zu erforschen und auch die Mythen und Symbole ´primitiver´Völker unserer Zeit. Was er offenbarte, war eine erstaunliche Einstimmigkeit im Glauben, wie unterschiedlich die verschiedenen Bilder auch waren, mit denen der Glaube ausgedrückt wurde. Er hatte seine Theorie über die Papyrusboote nicht bewiesen; er hatte, dachte ich, etwas ganz anderes bewiesen. Es schien, dass es hinter der Tapete der Formen und Bilder bestimmte universelle Wahrheiten bezüglich des Wesens der Wirklichkeit, der Schöpfung der Welt und der Menschheit und der Bedeutung der menschlichen Erfahrung gäbe; Wahrheiten, die so sehr Teil von uns sind wie unser Blut oder unsere Knochen.
Einer der Hauptgründe für den Unglauben in unserer modernen Welt ist die Vielfalt von Religionen, die sich gegenseitig zu widersprechen scheinen. Solange die Europäer von der Überlegenheit ihrer eigenen Rasse überzeugt waren, hatten sie keinen Grund gehabt, daran zu zweifeln, dass das Christentum der einig wahre Glaube sei. Die Bemerkung, dass sie die ´Krone des Evolutionsprozesses´seien, machte es leicht anzunehmen, dass alle anderen Religionen nicht mehr als naïve Versuche darstellten, immer wiederkehrende Fragen zu beantworten. Es war als diese rassische Selbstzufriedenheit nachließ, dass sich Zweifel einschlichen. Wie war es für einen guten Gott möglich, zu erlauben, dass die Mehrheit der menschlichen Wesen im Dienste falscher Religionen lebten und starben? War es dem Christen weiterhin möglich, zu glauben, dass er allein gerettet sein würde? Andere behaupteten dasselbe – Muslime zum Beispiel – wie konnte also irgendjemand sicher sein, wer im Recht war und wer unrecht hatte? Für viele Menschen, einschließlich mir selbst bis mir Perrys Buch in die Hände fiel, war die deutliche Schlussfolgerung, dass, da ja nicht jeder Recht haben kann, alle im Unrecht seien. Religion war eine Illusion, das Produkt des Wunschdenkens. Andere mögen es für möglich gehalten haben, ´wissenschaftliche Wahrheit´ durch religiöse Mythen zu ersetzen. Ich konnte das nicht, denn Wissenschaft basierte auf Annahmen bezüglich der Unfehlbarkeit der Vernunft und der Wirklichkeit des mit den Sinnen Wahrgenommenen, was nie bewiesen werden kann.
Als ich Perrys Buch las, wußte ich nichts vom Qur´an. Das kam erst viel später, und das Bisschen, das ich vom Islam kannte, war von Vorurteilen zerstört, die sich in den tausend Jahren der Konfrontationen angestaut haben. Und schon hatte ich, ohne es zu wissen, einen großen Schritt in Richtung des größten Rivalen des Christentums gemacht. Der Qur´an versichert uns, dass kein Volk auf Erden ohne göttliche Führung und eine Doktrin der Wahrheit geblieben sei, überbracht von Gesandten Gottes, die immer mit den Menschen in deren eigenen ´Sprache´ gesprochen haben, passend zu ihren besonderen Umständen und ihren Bedürfnissen entsprechend. Die Tatsache, dass derartige Botschaften im Laufe der Zeit verdreht wurden, bedarf keiner Erwähnung, und niemand sollte darüber erstaunt sein, dass sie verdreht worden sind, wenn sie von einer Generation zu anderen weitergereicht wurden, aber es wäre erstaunlich, auch wenn Jahrhunderte vergangen sind, keine Spuren hinterlassen worden wären. Jetzt schien ich ganz im Einklang mit dem Islam zu glauben, dass diese Spuren, gekleidet in Mythen und Symbolen (der ´Sprache´ der Mensche früherer Zeiten) direkt von der offenbarten Wahrheit stammen und die letzte Botschaft bestätigen.
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