Zinsen und ihre Rolle in der Wirtschaft und im Leben (teil 5 von 7): Erklärungen und Theorien
Beschreibung: Die unterschiedlichen Wege, mit denen Denker in der Vergangenheit versucht haben, Erklärungen für die Existenz von Zinsen zu beschwören.
- von Jamaal al-Din Zarabozo (© 2010 IslamReligion.com)
- Veröffentlicht am 13 Dec 2010
- Zuletzt verändert am 13 Dec 2010
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Die bloße Fülle der Meinungen, die versuchen, die Existenz der Zinsen zu erklären und ihre Zahlung zu rechtfertigen – begleitet von glaubwürdigen Kritiken aller dieser Ansichten von bekannten und respektierten Ökonomen[1]- sollten ein Zeichen für jeden sein, dass etwas nicht ganz richtig ist. In der Geschichte der wirtschaftlichen Gedanken kann man (unter anderen) folgende Theorien finden, die Zinsen rechtfertigen:
(1) Die “Farblosen” Theorien (wie Böhm-Bawerk sie nennt): Diese wurden von Adam Smith, Ricardo und anderen frühen Ökonomen vorgebracht. Diese Theorie hat viele Fehler, einschließlich der Vermischung von Zinsen mit Zuwachsprofit von Kapital. Ricardo verfolgt alle Werte vom Kapital auf Arbeit zurück – aber irgendwie versäumt er, zu bemerken, dass es nie Arbeit war, die die Bezahlung für den besagten Wert erhielt.
(2) Die Abstinenztheorien („Enthaltsamkeitstheorien“): Diese Art von Theorien sind immer wieder aufgetaucht. Ökonome haben bemerkt, dass „Enthaltsamkeit“ kein guter Begriff sein könnte[2] und benutzen oft andere Begriffe wie „warten“ (a la Marshall). Zins ist, im wesentlichen, der Lohn, den jemand erzielt, für das Warten oder die Enthaltsamkeit von der unmittelbaren Nutzung. Diese Theorie schlug fehl, denn sie läßt einen denken, dass Ersparnisse einzig und allein eine Funktion der Zinsen seien, was bewiesenermaßen nicht der Fall ist.
(3) Produktivitätszuwachs: Diejenigen, die diese Theorie vorbringen, sehen Produktivität als dem Kapital innewohnend an und daher ist Zins einfach nur die Bezahlung für diese Produktivität. Die Theorie, die von Say vorgebracht wird, nimmt an, dass Kapital einen Überschuß an Wert produziert, aber wieder gibt es keinen Beweis, der diese Behauptung unterstützt. Das äußerste, das man behaupten kann, ist dass etwas Wert geschaffen wurde, das eine Bezahlung für das Kapital darstellt, aber man kann nicht beweisen, dass Übermaß oder überschüssiger Wert geschaffen wurde, was die Essenz ihrer Behauptung darstellt, die Zinsen rechtfertigt. Natürlich ignorieren diese Theorien die Geldfaktoren, wenn sie Zinsen analysieren.
(4) Nutzungstheorien: “Böhm lehnte die Gültigkeit der Annahme ab, dass es neben jedem Kapitalgut einen Nutzen gäbe, wonach ein unabhängiges Wirtschaftsgut einen unabhängigen Wert besäße. Er betonte desweiteren, dass ´es in erster Linie keine Sache gäbe, wie eine unabhängige Nutzung von Kapital´, und demgemäß kann es weder einen unabhängigen Wert besitzen, noch durch seine Teilnahme zum ´Phänomen von überschüssigem Wert´ beitragen. Einen solchen Nutzen anzunehmen, gleicht eine unhaltbare Fiktion aufzustellen, die jeglichen Fakten widerspricht.”[3]
(5) Entschädigungstheorien: Diese Gruppe von Ökonomen sieht Zinsen als Entschädigung für “die verrichtete Arbeit” durch den Geldgeber an. Obwohl von englischen, französischen und deutschen Ökonomen unterstützt, benötigt diese Ansicht vielleicht keinen Kommentar.
(6) Die auswählende (Kombination früherer Theorien, wie Produktivität und Abstinenz) Theorie: Afzal-ur-Rahman schreibt:
Dieser Gedankengang scheint ein Symptom der Unzufriedenheit mit der Doktrin der Zinsen, wie sie von den Ökonomen in der Vergangenheit und der Gegenwart präsentiert und diskutiert wurden, zu enthüllen. Und, da keine einzige Theorie zu diesem Thema in sich selbst als befriedigend betrachtet wird, haben die Leute versucht, eine Kombination der Elemente verschiedener Theorien zu machen, um eine befriedigende Lösung des Problems zu finden.[4]
(7) Moderne Fruktifikationstheorie (Boden-Fruchtbarkeits-Theorie): Henry George war der Entwickler dieser Theorie, aber sie trug nie genug Gewicht, um viele, wenn überhaupt einige, Anhänger zu finden.
(8) Modifzierte Abstinenztheorie: Noch eine andere einzigartige Theorie, die von Schellwien vorgeschlagen worden ist, besaß nie großen Einfluß.
(9) Die österreicher Theorie (Die Agio[5] oder Zeit-Bevorzugungs-Theorie): Dies ist die Sicht, die Böhm-Bawerk selbst gutheißt. Nach dieser Theorie steigt Zins „durch einen Wertunterschied zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Gütern“. Cassel hat diese Theorie im Detail kritisiert. Sie kocht herunter zu einer fantastischen “Warte”- Theorie.
(10)Geldtheorien (die Ausleihbare Fonds Theorie, die Liquiditäts-Präferenz-Theorie, die Stocks and Flows Theorie (´Lager und Fluss-Theorie´), die Assets-Preference Approach (die Güter-Bevorzugungs-Annäherung): Letztlich haben Ökonome versucht, den Einfluß von geldlichen Faktoren in das Thema der Zinsen einzuführen und zu betonen. In Wirklichkeit beginnt die Betonung hier, von dem ´warum Zinsen gezahlt werden´, zu ´was die maßgebende Rate der Zinsen festlegt´, umzuschalten. “Gemäß Robertson ist Zins in der Liquiditäts-Präferenz-Theorie zu nichts weiter reduziert als einer Risikoprämie gegen Schwankungen, über die wir uns nicht sicher sind. Sie läßt den Zins in der Schwebe, so dass, um es krass zu sagen, Zins existiert, weil Zins existiert.”[6] Ähnliche Kritiken wurden über andere Ansichten dieser ´Familie´ gemacht.
(11) Exploitations-Theorie: Anfänglich haben sozialistische Ökonome Zinsen als bloße Ausbeutung betrachtet. Man sollte sich daran erinnern, dass die „Gründungsväter“ der kapitalistischen Theorie, Adam Smith und Ricardo, glaubten, die Quelle aller Werte sei nichts als Arbeit. Wenn dies wahr ist, dann sollten alle Zahlungen mit Arbeit gemacht werden und Zinsen sind nur Ausbeutung.
An einigen Stellen hat Afzal-ur-Rahman ausgezeichnete Schlußfolgerungen bezüglich dieser verschiedenen Zinstheorien gegeben. Er stellte fest:
Eine kritische Studie der historischen Entwicklung des Phänomens der Zinsen hat gezeigt, dass Zinsen als unabhängiger Faktor der Produktion gezahlt wird, entweder als Wartezeit oder Aufschub oder Abstinenz usw. Aber alle diese Theorien versäumen es, zu beantworten oder zu beweisen, warum Zinsen auf diesen Faktor gezahlt werden oder gezahlt werden sollen. Einer betont die Notwendigkeit des Wartens, ein anderer die Notwendigkeit der Abstinenz, wieder ein anderer die Notwendigkeit des Aufschubs; aber keine von diesen Erklärungen beantwortet die Frage. Weder bloße Notwendigkeit des Wartens oder des Aufschubs oder der Abstinenz noch bloßer Nutzen oder Produktivität des Kapitals genügt, um zu beweisen, dass Zinsen eine notwendige Zahlung für die Verwendung des Kapitals bei der Produktion sind. Abgesehen davon können diese Theorien keine Antwort auf die Frage geben, wie ein variable Faktor möglicherweise einen festgelegten Faktor wie eine Zinsrate bestimmen kann? Wie kann eine solche Theorie gültig und haltbar sein?
Später schreibt er:
Die Geldtheorien wie die Grenzproduktivitätstheorie haben keinen Versuch unternommen, folgende Frage zu beantworten: warum sollten Zinsen gezahlt werden? Sie haben diese Frage ganz einfach ignoriert und bei der Theorie über den Wert Zuflucht gesucht. Sie sagen, wie bei allen anderen Dingen, wird der Preis des Kapitals durch die Nachfrage nach der Verfügbarkeit von Geld bestimmt. Aber es scheint so, als hätten sie den grundsätzlichen Unterschied zwischen den beiden Problemen vergessen; die Theorie des Wertes ist ein Problem des Austauschs, während die Zinstheorie ein Problem der Verteilung ist. Sowohl Loanable Fonds als auch Liquiditätspräferenz – Theorien sind gründsätzlich Angebot und Nachfrage Theorien des Zinses und erklären ihn unter Berufung auf das zur Verfügung stehen und die Nachfrage an ausleihbaren Fonds und Geld im einzelnen. Aber sie geben keinerlei Rechtfertigung für das Phänomen des Zinses. Selbst wenn das Kapital ein Anrecht auf angemessene Entschädigung für die Schaffung von Reichtum besitzt, „kann es nur seinen Anteil vom Anstieg nationalen Reichtums nur zu dem Ausmaß seiner Wiedergutmachung ziehen. Es kann nicht gestattet werden, mit seinem Pfund Fleisch davonzulaufen, das im Voraus bestimmt wird und ohne Beziehung zu den aktuellen Produktionsdaten steht.“[7] Nach Böhm-Bawerk enthüllt die Studie all dieser Theorien “die Entwicklung von drei wesentlichen abweichenden Grundkonzepten des Zinsproblems.“ Eine Gruppe, die Repräsentanten der Produktivitätstheorie, behandelt das Zinsproblem als ein Produktionsproblem. Das sozialistische Beispiel von der Ausbeutung behandelt das Zinsproblem als reines Problem der Verteilung; während die dritte Gruppe, die Unterstützer der Geldtheorien, in der Zinstheorie das Problem des Wertes sucht. Es besteht kein Zweifel daran, dass alle diese Theoretiker von dem Großmut und der Durchdringlichkeit des Phänomens des Zinses durcheinander gekommen, das Hauptthema, warum Zins gezahlt werden sollte, vermieden haben. Sie haben in der Tat alle ihre Energien darauf verwendet, das Problem des Wartens oder der Abstinenz oder der Produktivität oder des „Arbeitswerts“ oder „der Bestimmung des Wertes“ zu lösen und sie haben nichts über den Ursprung oder die Rechtfertigung der Einrichtung von Zinsen gesagt.[8]
Footnotes:
[1] Tatsächlich gibt es kein Buch über die Geschichte der ökonomischen Gedanken, das eine Analyse der Rechtfertigungen von Zinsen und ihrer Kritik liefert. Eine nützliche Quelle ist Mark Blaug, Economic Theory in Retrospect (Cambridge: Cambridge University Press, 1978). Böhm-Bawerks Klassiker Capital and Interest (Kapital und Kapitalzins) ist eine starke Anklage gegen frühere Zinstheorien, obwohl seine eigene Theorie sicherlich nicht frei von Mängeln ist. Böhm fand die früheren Theorien unbeständig und widersprüchlich und auch, dass sie versäumten, eine vollständige Theorie für Zinsen abzugeben, die erklärt, warum sie gezahlt werden und was ihre Rate bestimmt. Siehe auch Qureshi, S. 11-39; Afzal-ur-Rahman, S. 9-48.
[2] Seniors Abstinenztheorie “wurde von einem sozialistischen Schreiber, Lasalle, gebührend lächerlich gemacht, der bemerkte: ´Der Profit von Kapital ist der „Lohn für die Abstinenz“. Glücklicher, auch unschätzbarer Ausdruck. Die asketischen Millionäre Europas wie indische Büßer oder Säulenheilige, sie stehen auf einem Bein, jeder auf seiner Säule mit verkrampften Armen und hängendem Körper und bleichen Blicken, ein Tablett den Menschen entgegenhaltend, um die Löhne für ihre Enthaltsamkeit zu sammeln. In ihrer Mitte, seine Freunde überragend, als oberster Büßer und Asket, der Baron Rothschild.’” Qureshi, S. 17.
[3] Afzal-ur-Rahman, S. 23.
[4] Afzal-ur-Rahman, S. 30.
[5] “Agio” ist die Prämie, die jemand willig für gegenwärtige Güter, verglichen mit denselben Gütern in Zukunft zahlt.
[6] Afzal-ur-Rahman, S. 44.
[7] Afzal-ur-Rahman zitierte dies Ahmad, The Economics of Islam.
[8] Afzal-ur-Rahman, S. 46-47.
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